Schrittmacher für das Herz
Gedanken zur Wallfahrt und zum Pilgern von P. Karl Schauer, OSB
Wallfahren und pilgern haben viel mit dem eigenen Leben und viel mit Gott zu tun, ob zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit einem anderen Vehikel. Auch jene, die den Strapazen eines anstrengenden Weges nicht mehr gewachsen sind, können Pilger und Wallfahrer werden. Der Weg kann vom Gebet begleitet werden und das Ziel wird zur Begegnung mit Gott in der Feier der Eucharistie und im Hören auf das Wort Gottes.
Pilgerwege sind immer anstrengend. Sie sind viel mehr als Körpertraining, Hochleistungssport, Fitnessprogramm und Training. Sie sind kein Spaziergang und keine fromme Überforderung, kein religiöser Tripp, auf dem Gott und der pilgernde Mensch erst neu erfunden werden müssten und sogenannte „Pilgerbegleiter“ nichts anderes zu tun hätten, als den Pilgernden mit ihren spirituell aufgeladenen Anweisungen die Wege zu durchkreuzen und Gott aufzuschwatzen.
Vielleicht: Man kann Gott auf den Pilgerwegen und am Wallfahrtsort begegnen. Aber diese Begegnungen sind nicht laut, sie schreien nicht und lassen sich auch nicht festhalten. Das Pilgern und Wallfahrten steckt im Menschen, es gehört zu seinen Urgebärden und zu seiner großen Sehnsucht. Der Mensch ist ein Pilger, ein Unruhiger, ein Aufbrechender, ein Abenteurer, ein Mensch des Weges, einer, mit großen und kleinen Zielen. Und er möchte ankommen, er will entdecken und nachdenken. Der Mensch ist nicht für die Couch geschaffen, sein Gesprächspartner ist nicht der Bildschirm und auch nicht die künstliche Intelligenz. Kopfhörer und Ohrstöpsel verlegen die Ohren und machen für die Welt, ihre Schönheiten, für die Schöpfung, für Gott und Menschen taub. Das alles kann die Menschen aufreiben und krank machen.
Für eine Wallfahrt sollte man fit sein
Eher aber macht die Wallfahrt fit für das Leben. Wirkliche Pilgerwege sind nicht laut, sie schreien nicht und sie müssen nicht erst erfunden werden. Sie sind gezeichnet von den Tränen, vom Leid, von der Hoffnung und von der Zuversicht der Menschen. Pilgern ist deshalb ein Beten mit den Füßen und noch mehr mit den Herzen.
Wallfahrt und Pilgern sind immer Begegnung
Begegnung mit mir selbst, weil ich als Wallfahrer mich nicht zurücklassen kann mit all dem, was mich ausmacht, treibt, zurückwirft und nach vorne bringt. Begegnung mit allen, die mitkommen und Schritt halten, ihr Leben mit mir teilen und denen ich meine Lebenserzählungen nicht vorenthalte. Die Wallfahrt ist Begegnung mit Gott, der nicht abgerückt ist, sondern das Leben mit uns teilt, unsere Aufbrüche und Abbrüche kennt, an den Wegkreuzungen des Lebens auf uns wartet, uns vor den verfluchten Abgründen bewahrt und am Ziel auf uns wartet.
Jedes Wallfahrtsziel bringt Gott zur Sprache: Mit seiner Gegenwart in den Gotteshäusern, durch die Heiligen, die an diesem Ort greifbar wurden und werden, durch Schönheit, Architektur, Kunst, Musik, Gebet und alles, was das Faszinierende dieser Heiligtümer ausmacht. Aber auch durch die Tränen, den Schweiß, die Freude und Dankbarkeit, die solche Orte zeichnen. Wallfahrtsorte riechen nach Leben, sie sind ein Feldlazarett und müssen die Sprachen des Lebens, der jeweiligen Zeit und die Herausforderung der Geschichte sprechen. Jerusalem, Rom und andere Orte sind alt, die Wallfahrt ist mit diesen Orten seit Jahrhunderten verbunden, ihr Anspruch ist nicht weniger geworden, aber die Begegnung mit diesen Orten ist anders, sie muss heutig sein.
Für Wallfahrer ist der Weg nie das Ziel
Die Wege können zum Ziel führen, auch die verschlungenen Wege des Lebens. Wer das nicht erkennt, versteckt sich blind hinter einer alten Autowerbung, kreist um sich selbst und findet die Ausgänge des Labyrinths nie.
Jede Wallfahrt ist Wandlung
Offenheit für Gott und Aufmerksamkeit für mein Leben. Sie nimmt meine Vergangenheit mit und macht mich frei für das Kommende. Deshalb lädt die Wallfahrt zur Umkehr, zur Versöhnung und zum Neubeginn ein. Wallfahrtsorte waren und sind auch die großen Beichtstühle des Lebens: Belastendes und Erdrückendes wird in die Hände Gottes gelegt und dieser umarmt die Sünder mit der unwiderstehlichen Kraft seiner barmherzigen Liebe. Gute Beichtväter sollten bescheidene Werkzeuge der Liebe Gottes sein. Therapeuten, Psychologen, Lebensberater, Influenzer, Notfallseelsorger, Besserwisser gibt es anderswo, mehr, als guttut.
Pilgern ist immer ehrlich
Das haben die Generationen vor uns erfahren und das werden auch die Generationen nach uns erleben. Deshalb ist das Pilgern so alt und bleibt immer jung, die Pilgerwege sind ausgetreten, die Pilgerorte erzählen die alten und neuen Lebensgeschichten, die Votivbilder und Votivgaben an diesen Orten sind aufregend und der Glaube und das Vertrauen der Menschen, die diese Orte aufsuchen, sind heilig. Diese durchbeteten Orte, an denen auch die Heiligen der Kirche, die Zeugen des Glaubens, allen voran die Gottesmutter Maria Wegweiser für die Pilgernden sind, heilen die Menschen.
Nicht alles, was Menschen als „Wallfahrt oder Pilgern“ bezeichnen, hat diesen Namen wirklich verdient. Die Oberflächlichkeit des Lebens hat auch vor diesen Orten nicht Halt gemacht und doch dürfen sie nicht zu Umschlagplätzen von Eitelkeiten und Ideologien werden, sondern zu Anlaufplätzen kirchlichen Lebens und zu Orten, an denen Leben in seiner Vielfalt gewagt und geübt wird.
Das ganze Leben ist ein Pilgerreise
Aufbruch und Begegnung, Umkehr und Wagnis, Geduld und Aufmerksamkeit, Staunen, Dankbarkeit und Tränen, offene Augen für das Wunder Mensch, das Wunder Schöpfung und für die Wunder, die Gott immer noch tut, auch wenn sie meist nicht laut und plakativ sind.
Die Wallfahrt ist keine Frage des Geldes, des Aufwandes oder eine Frage der Kraftanstrengung und der Organisation und sie ist nicht nur ein Sommerprogramm.
Wallfahren und Pilgern sind eine Sprache des Herzens
Gott beherrscht diese Sprache gut und er lädt uns immer noch zu den ersehnten Aufbrüchen ein.
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