Predigt zur Messe am Dreiländereck
Wer bis 1989 hierher an dieses Dreiländereck – Österreich, Ungarn, Slowakei – gekommen ist, stand mit einem Mal: am sogenannten Eisernen Vorhang; am Ende der westlichen Welt und schaute in die östliche, weithin kommunistische Welt; hielt vor Angst etwas den Atem an, als ob plötzlich nur mehr der eine Lungenflügel atmen und der zweite Lungenflügel versagen würde.
Wer bis 1989 hierher ans Dreiländereck kam, hatte nicht nur das beklemmende Gefühl, sondern er sah, dass der europäische Kontinent geteilt und gespalten war – in eine westliche und in eine östliche Hälfte, die sich als Gegner und Feinde gegenüberstanden.
Wer heute 30 Jahre danach an dieses Dreiländereck kommt, ahnt vielleicht noch etwas von diesem geteilten Europa und den Folgen des Eisernen Vorhangs, den Kämpfen um diese Region und den Nachteilen dieser Grenzregion, aber er erlebt auch wie diese Region langsam wieder zusammenwächst, wie aus unbekannten Nachbarn und Gegnern wieder gute Nachbarn und Freunde werden, wie böswillig getrenntes und zerrissenes wieder zusammenwächst, wie verschiedene Volksgruppen, Sprachen, Konfessionen und Kulturen wieder friedlich zusammenleben und sich als Bereicherung erfahren.
Das ist der Vorteil und konkrete Beitrag der Europäischen Union für unsere Region und letztlich auch für den Frieden in Europa – vom Rand in die Mitte! Das gilt es gerade heute zu sehen, zu fördern und zu schützen – allen Versuchungen von Ideologien der Vergangenheit und Populisten zum Trotz! Das ist die gemeinsame Aufgabe von Kirche und Politik, von Christen und allen Menschen guten Willens. Dazu leistet die Kirche seit Jahrzehnten ihren Beitrag – auch die Kirche in unseren Ländern. Die Diözese Eisenstadt hat sich seit ihrer Gründung 1960 ganz besonders dieser Aufgabe verschrieben, weil sie in ihren Genen beide Lungenflügel trägt – den östlichen und den westlichen – und so auch von Gott auserwählt ist, diese ihre Sendung auch heute zu erfüllen.
Was ist unsere Aufgabe als Kirche und Christen heute in dieser Grenzregion? Der hl. Papst Johannes Paul II. hat es uns schon 1988, also schon ein Jahr vor dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Berliner Mauer, bei seinem Besuch in unserer Diözese gesagt: Seid Zeugen des Evangeliums und des Glaubens – wie Paulus in der heutigen Lesung, wie so viele Heilige und Selige unserer drei Länder: Martinus, Benedikt, Cyrill und Methodius, König Stephan, auch die Heiligen und Seligen unserer Tage! Seid Brückenbauer hier am ehemaligen Eisernen Vorhang und zeigt Europa und der Welt, dass das Zusammenleben von verschiedenen Völkern, Kulturen, Sprachen, Religionen und Konfessionen, dass Einheit in der Vielfalt möglich ist!
Seid Friedensboten hier im Herzen Europas, damit auch in der Welt Friede wird!
Diese zur Tradition gewordene Messe hier am Dreiländereck verpflichtet uns alle: Zeugen des Evangeliums, Brückenbauer an der Grenze und Friedenstifter im Alltag zu sein. Wenn wir das tun, tragen wir bei zu einem vereinten, vielfältigen und friedlichen Europa. Dann erfüllt sich Jesu Gebet im heutigen Evangelium, wo er den Vater im Himmel für uns um Einheit und Liebe bittet. Möge Gott diese Bitte Jesu hören und seiner Kirche und unserer Welt Einheit, Liebe und Frieden schenken! Amen.