
"Semana Santa" – die Heilige Woche in Guatemala
Die diesjährige Fastenzeit, besonders die Karwoche und das Osterfest, fällt für alle Christen dieser Welt aufgrund der Corona-Pandemie und der Präventionsmaßnahmen anders aus. Obwohl die Art und Weise unseres gewohnten Gedenkens des Leidens, des Todes und der Auferstehung Christi verändert sind, ist die Hoffnung lebendig. Wie bunt und unterschiedlich diese heilige Woche in Zeiten ohne Covid-19 gefeiert werden kann, zeigt ein Blick auf das mittelamerikanische Land Guatemala.
Antigua Guatemala – Es ist fast nicht zu glauben, dass eine Stadt, die ca. 45.000 Einwohner zählt, in einer Woche das Zehnfache an Touristen trägt. Doch es ist nicht irgendeine Woche, es ist Beginn der Heiligen Woche, Palmsonntag kurz nach 8 Uhr früh. Die Messe mit der Segnung der Palmwedel ist bereits vorüber und die Tore der barocken Kirche "La Merced" öffnen sich. Hunderte Menschen haben sich bereits am Platz davor versammelt. Die Luft riecht nach Weihrauch, Blumen und Holzspänen, Spannung liegt in der Luft. Es ist der Beginn der eindrucksvollsten Oster-Prozessionen und Feierlichkeiten weltweit: jene der "Semana Santa", der Heiligen Woche in Antigua Guatemala.
Blumenteppiche, Weihrauch und Musik
Beginnend am "Domingo de Ramos" – genau eine Woche vor Ostern – strömen Guatemalteken und Menschen aus aller Welt in die Stadt Antigua, um an den Tag zu erinnern, an dem Jesus nach Jerusalem kam. Palmblätter wurden gesammelt, mit Blumen zu Sträußen gebunden, und in der Morgenmesse von einem Priester gesegnet. Fenster und Türen der Häuser sind mit bunten Vorhängen, Stoffschleifen und Papierdekorationen geschmückt, die Pflastersteine bedeckt von meterlangen kunstvollen "alfombras", Teppichen. Sie bestehen traditionell aus gefärbtem Sägemehl, aber auch aus Blüten- und Palmblättern, oder aus Früchten und Gemüse, und wurden in stundenlanger Feinarbeit von den Familien, die in den Häusern entlang der Straße leben, gestaltet. Es ist der Willkommensgruß, die Ehrerbietung an Jesus Christus, dessen Leiden, Tod und Auferstehung in Gemeinschaft in den kommenden Tagen gefeiert wird. Die Straßen sind voller Menschen, die Stimmung ist emotionsgeladen, es ist laut und bunt. Jeder versucht den besten Platz zu bekommen, um dabei zu sein, wenn die Prozession schließlich vorüberzieht.
Die Prozessionen
Mit dem Auszug der Statue des "Jesús Nazareno de la de la Merced", dem Kreuz tragenden Jesus, sowie weiteren Szenen der Passion Christi auf einem fast 20 Meter langen und 4 Meter breiten hölzernen Tragegestell, beginnt die erste Prozession der Semana Santa. Mehr als 80 Männer in violetten Kutten, die sogenannten "cucurruchos", empfangen kniend die sogenannte "anda", das reich geschmückte Gestell, mit der prominenten Jesusfigur im Zentrum. Blasmusik und Trommeln begleiten den Moment, als sich zeitgleich die Männer erheben und mehr als drei Tonnen auf ihren Schultern in die Höhe stemmen. Langsame, schwere Trommelschläge geben den Takt vor, in dem die "cucuruchos" beginnen, sich wippend zu bewegen, bevor der erste Schritt getan wird, und die Prozession bis zu zwölf Stunden über die kunstvoll geschmückten Pflastersteine der ehemaligen Hauptstadt des Landes zieht.
Neben dieser Prozession gibt es an diesem und den folgenden Tagen viele andere. Ebenso beeindruckend ist, jene der Kirche "Escuela de Cristo" oder der Kirche "San Felipe de Jesús" mitzuerleben. Später im Zentralpark findet man sich wieder ein, um zum Sonnenuntergang das Einschalten der Beleuchtung an den "andas" zu erleben. Rauchschwaden umhüllen theatralisch die Figuren. Es ist nach Mitternacht, als Ruhe einkehrt und die letzten Marimbas, Trompeten und Trommelschläge verstummen. Die Straßen leeren sich, die Heimreise wird angetreten.
"Jueves Santo" bis "Domingo de Pascua"
"Jueves Santo", der Gründonnerstag, steht ganz im Zeichen der Fußwaschung und des letzten Abendmahls. Mehrere Prozessionen werden durch die reich geschmückte Stadt ziehen. Heute hört man zum ersten Mal auch die "matracas", die Ratschen, und die Glocken verstummen.
Die Feierlichkeiten des Karfreitag, des "Viernes Santo", starten um drei Uhr früh. Auf dem Platz vor der Kirche La Merced erscheint ein römischer Centurio mit Kohorte. "Lanceros", als römische Soldaten verkleidete Guatemalteken, reiten oder marschieren noch vor Sonnenaufgang über die Kopfsteinpflaster. Ein Herold verkündet die Verurteilung Christi zum Tod am Kreuz.
Um sieben Uhr früh beginnt die Bußprozession, die "Procesión de Penitencia". Vorne weg gehen die römischen Soldaten und Trompetern. Ihnen folgen kleinere "andas" mit sieben Szenen der Passion und Darsteller des Pontius Pilatus und der Diebe, die von Tafeln, die an den Prozess und die Verurteilung erinnern, begleitet werden. Nach den Weihrauchträgern schließlich erscheint die Hauptplattform mit Jesus Christus unter dem schweren Kreuz. Ein Priester unter einem Baldachin sowie Musiker, die Trauermärsche spielen, schließen diesen Zug. In Abstand dazu folgen Frauen einer Schwesternschaft, die auf einem hölzernen Gestell die "Santísima Virgen de Dolores", die Skulptur der Schmerzensjungfrau, tragen. Eine weitere Musikkapelle und "andas" mit Heiligenfiguren beenden den etwa einen halben Kilometer langen Zug.
In einigen Kirchen, wie der San José geweihten Kathedrale, finden gegen Mittag die "Kreuzigung" von Christus-Figuren statt, die nach drei Stunden feierlich abgenommen werden. Kurz nach 16 Uhr startet die Prozession des "Señor Sepultado", des aufgebahrten Jesus, in der Kirche Escuela de Christo. In einem gläsernem Sarg mit goldenem Kreuz liegt die Skulptur des Verstorbenen, die auf einem fast 20 Meter langen imposanten Mahagoni-Tragegestell auf den Schultern von mehr als 60 schwarzgekleideten "Cucurruchos" die Kirche verlässt. Langsam bewegt sich der Zug zu dem Marsch "La Granadera" über die schmuckvollen Teppiche der Straßen Antiguas. Auf Standarten sind die letzten sieben Sätze zu lesen, die Jesus am Kreuz rief, wie: "Dios mío, ¿por qué me has abandonado?" – "Vater, warum hast du mich verlassen?" oder "Todo está consumado." – "Es ist vollbracht!" Auf die Figur des aufgebahrten Christus folgt das von einer Schwesternschaft getragenen Holzgestell der "Vírgen de Soledad", der Jungfrau der Einsamkeit. Es zeigt das von einem Dolch durchbohrte Herz der Gottesmutter.
Der Vormittag des Karsamstag, des "Sábado Santo", ist verhältnismäßig ruhig. Die Prozessionen des Tages finden hauptsächlich nachmittags statt und stehen im Zeichen des Beileids, des "pésame". Die "andas" werden ausschließlich von in Schwarz gekleideten Frauen getragen und zeigen Darstellungen der weinenden "Virgen de Soledad". Die Prozessionen finden entlang des gleichen Weges statt, der zuvor mit der Skulptur des liegenden Christus, des "Christo yacente", begangen wurde. Unermüdlich arbeiten die Familien dafür an ihren schmuckvollen Teppichen. Um Mitternacht finden sich die Menschen in der Kathedrale der Stadt ein, in Gemeinschaft wird dort die Auferstehung Christi gefeiert.
Die Feierlichkeiten des Ostersonntag, "Domingo de Pascua", starten zeitig in der Früh. Die kunstvollen Teppiche auf den Straßen wurden wie jede Nacht zuvor in leuchtenden Farben gestaltet. Ab sechs Uhr beginnen die österlichen Prozessionen des "Jesús Resucitado". Sie bewegen sich mit feierlichen und fröhlichen Klängen der Musik, singenden Stimmen und dem Läuten der Glocken. Auf den "andas" sieht man heute Figuren des in weiß gekleideten auferstandenen Jesus Christus mit dem Segensgestus, sowie die gekrönte Gottesmutter. Die Menschen auf den Straßen empfangen sie mit schwingenden Fahnen, klatschend und laut rufend, Kinder entzünden kleine Feuerwerkskörper und Knallerbsen.
"Cristo ha Resucitado. Aleluya Aleluya!" – "Christus ist auferstanden! Halleluja! Halleluja!" hallt es durch die Straßen. Der Geruch von Weihrauch, Blumen und Holzspänen hüllt noch ein letztes Mal die Stadt und seine Menschen ein, bevor des Abends die Skulpturen und Schreine wieder an ihre Plätze in den Kirchen kommen. Die "andas" und "cucurruchos" verschwinden in den Toren. Das was bleibt, ist die Erinnerung, die Hoffnung, sind die Emotionen und die Gewissheit in den Worten des Auferstandenen: "Ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende dieser Welt." (Mt 28,16-20)
Nora Demattio, BA