Natur und Umwelt 02/2021
Mein Neusiedlersee
Wie komme ich zu der Behauptung, der Neusiedler See sei meiner, wo ich doch nicht einmal einen Quadratmeter Boden, Schilffläche oder gar Wasserfläche dieses Sees besitze!?
Als im tiefsten Mittelburgenland, hart an der Grenze zum Südburgenland in Langeck Geborener und jetzt seit fast vier Jahrzehnten auf der anderen Seite, sozusagen hinter dem Leithagebirge in Leithaprodersdorf Wohnender ist das eher unwahrscheinlich. Begegnet bin ich dem Neusiedler See als junger Schüler das erste Mal im Rahmen eines Schulausflugs. Und dabei hat mich schon das Phaszinierende, das Besondere, die Größe, das Einmalige dieses Ökosystems, dieses Lebensraums im wahrsten Sinn des Wortes gepackt und mich ein Leben lang nicht mehr losgelassen.
In der Folge hatte ich immer wieder ganz eindrucksvolle und faszinierende Begegnungen und Erlebnisse mit diesem besonderen Kleinod und Flaggschiff der vielfältigen Naturräume unseres Landes, weit über die Grenzen des Burgenlands bekannt und bedeutend, ausgezeichnet mit den höchsten internationalen Anerkennungen, die sich so ein besonderes Ökosystem verdient.
Mehrere Schulausflüge und Exkursionen an den See als Student der Biologie an der Uni Wien vertieften meinen Bezug zum See, bevor ich auch fachlich mit ihm zu tun hatte. Zunächst 1975 durch meine Diplomarbeit über die „Populationsdynamik der Störche im Burgenland“, wo ich auch das erste Mal offiziellen Kontakt zur Biologischen Station in Illmitz hatte. Etwas später über den Österreichischen Naturschutzbund beim Naturschutztag 1978 in Mattersburg, wo das „Mattersburger Manifest“ zum „Nationalpark Neusiedlersee“ verabschiedet wurde. Als Obmann des Naturschutzbunds Burgenland war ich verantwortlich für die Pacht und den Kauf von Flächen im Hansag und in den Zitzmannsdorfer Wiesen sowie für deren Pflege, für Exkursionen, um den Menschen die Bedeutung des Sees nahezubringen und bezüglich der Abhaltung des 1. Bgld. Naturschutztages in Illmitz 1986, der unter dem Motto „Nationalpark Neusiedler See – eine Chance für die Zukunft!?“ stand. Dabei gab es in der Bevölkerung noch sehr große und viele Widerstände gegen einen Nationalpark. Mit großem Engagement und Freude durfte ich dann aber in den folgenden Jahren an der Entwicklung und Installierung dieses Nationalparks mitwirken, vor allem an der Erarbeitung des Nationalparkgesetzes, das 1992 Rechtskraft erhalten hat. Mit der Eröffnung des Nationalparks „Neusiedler See – Seewinkel“ 1994 wurde ein wichtiger Schritt zur Rettung, zum Erhalt und Fortbestand dieses Lebensraums gesetzt. Meinen kleinen Beitrag dazu darf ich bis heute als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beitragen und seit 2017, sozusagen als Höhepunkt meiner Tätigkeit für den Nationalpark, als Mitglied im Nationalpark-Vorstand.
In meiner Zeit als Landesumweltanwalt des Landes Burgenland von 2003 bis 2015 hatte ich hoheitliche Aufgaben für diesen Raum zu erfüllen und durfte darauf achten, dass die naturschutzrechtlichen Belange in den amtlichen Verfahren rund um den See erfüllt sowie die umweltrelevanten Bestimmungen bei der Anwendung anderer Gesetzesmaterien beachtet werden. Besondere Projekte in dieser Zeit waren beispielsweise die Genehmigung und Errichtung der St. Martins-Therme, die umweltkonforme Errichtung von vielen Windparkprojekten auf der Parndorfer Platte und im Seewinkel und die Erarbeitung von Gestaltungsrichtlinien für das Weltkulturerbe Fertö-Neusiedler See sowie deren Umsetzung im Gestaltungsbeirat als Mitglied desselben. In all diesen Jahren hatte ich auch sehr schöne, wertvolle und lehrreiche Begegnungen mit einer großen Anzahl an Persönlichkeiten und Menschen, die sich mit dem See und seinem Umfeld fachlich und rechtlich befassen oder befassten.
Das wohl schönste Erlebnis hatte ich, als ich als Lehrer für Biologie etwa um die Jahrhundertwende mit einer Schulklasse am Neusiedler See in Podersdorf eine Schullandwoche verbrachte. In Vorbereitung einer Exkursion fuhr ich mit dem Rad zum Unteren Stinkersee, machte eine Pause und beobachtete, durch Schilfpflanzen geschützt, am Rand der Lacke junge Säbelschnäbler, die im seichten Wasser nach Nahrung suchten. Ein älteres Ehepaar aus Bayern gesellte sich zu mir und nach einiger Zeit der gemeinsamen Beobachtung sagte der Mann zu mir, dass sie schon lange Gäste hier in der Gegend seien, den See schon lange kennen und schätzen, dass sich aber der Naturraum und vor allem die Tierwelt seit es den Nationalpark gibt, so wunderbar und großartig entwickelt hat. Und dann fügte er im schönsten urbayerischen Dialekt hinzu: „Und wenn man dies alles so sieht und erleben darf, dann schmeckt einem das Achterl Wein am Abend beim Heurigen noch viel besser.“ Die Freude bei mir war riesengroß ob dieser Aussage.
Der See gibt uns Menschen soviel Gutes, Schönes, Wertvolles, schenkt uns Freude, Erholung, Entspannung und Erlebnisse, liefert günstiges Klima für wertvolle Produkte, ist vielfach Arbeitsplatz und Devisenbringer.
Es ist nur zu hoffen, dass er bei seiner Nutzung, auch Ausnutzung und Beeinflussung durch den Menschen und immer wiederkehrenden, teils engsichtigen und egoistischen „Rettungsversuchen“ nicht zu sehr gequält und letztendlich massakriert wird – er hat inzwischen viele Wirrnisse, Belastungen, Eingriffe und auch Beschädigungen überstanden. In Wirklichkeit muss man den See nur in Ruhe lassen, darf seine Schätze und Gaben genussvoll empfangen. Er selbst weiß schon, wie er gesund und lebensfähig bleibt. Das hat er uns ja schon viele tausend Jahre bewiesen.
Da passt eine Aussage von dem großen Denker und Philosophen Immanuel Kant ganz gut: „Alles, was die Natur selbst anordnet, ist zu irgendeiner Absicht gut“. Das meint auch Ihr
Hermann Frühstück
Landesleiter Naturschutzorgane Burgenland