Rassismus – Vom Tischgespräch zum Tischgebet
Am 25. Mai 2020 erfolgte der gewaltsame Tod des 46-jährigen Afroamerikaners George Perry Floyd im US-Bundesstaat Minnesota durch Polizeibeamte. „I can´t breathe!“ rief George Perry Floyd während der 8 Minuten und 46 Sekunden, in denen ein Polizeibeamter sein Knie in den Nacken des unbewaffneten Mannes presste, der kurz danach starb. Es ist ein tragisches Beispiel von vielen: ein Beispiel von vielen für Gewalt und ein Beispiel von vielen für Rassismus.
Dieser Tod löste eine Massenbewegung an Solidaritätsbekundungen aus, durch vorwiegend friedliche Proteste in Amerika aber auch vielen anderen Staaten der Welt. Mit Solidaritätsbekundungen weltweit haben wir durch die Corona-Pandemie in den letzten Wochen und Monaten gute Erfahrungen gemacht. Menschen, die sich dem Leid und den ungerechten und menschenunwürdigen Zuständen annehmen, Menschen, die hinschauen und gegen Unrecht aktiv werden. Vielleicht kann der Geist der Solidarität, der mit der Corona-Pandemie gewachsen ist, jetzt auch helfen, solidarisch mit Leid, Unterdrückung und Rassismus zu sein, dagegen Stimme erheben und Taten setzen: Irgendwann reicht es!
So wie der Corona-Virus weltweit verbreite wurde, ist auch der Rassismus-Virus weltweit verbreitet und viele sind infiziert. Auch in Österreich, auch im Burgenland. Auch hier haben wir Ungleichheit und Rassismus, auch hier erfahren beispielsweise Menschen mit Migrationsgeschichte nicht annähernd Chancengerechtigkeit. Auch hier wird ausgegrenzt, abgewertet und diskriminiert. Rassismus hat sich unter der Oberfläche einer scheinbar liberalen Gesellschaft über lange Zeit eingenistet. Wie gingen und gehen wir mit geflüchteten Menschen um? Öffnen wir unsere Häuser, Kirchen und Herzen? Wie reagieren wir, wenn in unsere Pfarre ein Pfarrseelsorger aus beispielsweise Indien, Sri Lanka, Nigeria oder Madagaskar bestellt wird? Lehnen wir ab, dulden wir oder sind wir offen und bereit, in Dialog und Begegnung zu treten?
Diskriminierung, Intoleranz und Rassismus nehmen laut dem Befund der OSZE-Konferenz vom 25. und 26. Mai 2020 beängstigend zu. Dabei sollten wir uns an die Einheit der Menschen in Vielfalt erinnern, daran, dass sich Gott vor allem dort zeigt, wo sich Machtordnungen umkehren: Wenn ausgeschlossene Menschen in die Mitte genommen werden, wenn wir uns für unterdrückte und diskriminierte Menschen einsetzen. Dazu haben wir jetzt Gelegenheit, denn die Würde des Menschen ist unantastbar – und schon gar nicht mit Füßen zu treten oder mit dem Knie zu zerdrücken.
Wir können und sollen unsere Gelegenheiten nützen, denn Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten, Diskriminierung, Rassismus und alle andere Formen von -ismen gehen uns alle an – und vor allem diejenigen, die nicht ganz unmittelbar davon betroffen sind, die, die nicht durch rassistische Äußerungen und Handlungen verletzt wurden. Sie sind es, die Kraft und auch die ethische Verpflichtung haben, hinzusehen, aufzuzeigen und zu handeln. Für die Gestaltung der Welt, in der wir leben und für das Miteinander in der einen großen Menschheit in Vielfalt ist jede und ist jeder Einzelne verantwortlich. Dann kann es gelingen, unsere Sehschwäche gegenüber der Zusammengehörigkeit der Welt zu überwinden.
Wir müssen „die Welt da draußen“ wahrnehmen um zu ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Gestaltung beizutragen. Der tragische Tod von George Perry Floyd hat uns geholfen, die Präsenz und große Tragweite von Rassismus wahrzunehmen in der „Welt da draußen“, immer und immer wieder.
In den letzten Wochen und Monaten haben wir viele verschiedene Erfahrungen mit dem Corona-Virus gemacht, haben gesehen, dass er sich bis in den letzten Winkel der Erde ausgebreitet hat und wir werden immer erfolgreicher im Kampf dagegen. Der Virus Rassismus hat sich schon lange bis in alle Winkel der Welt verbreitet, ist dem Corona-Virus um Vieles voraus. Die aktuellen Solidaritätsbekundungen lassen hoffen, dass wir auch im Kampf gegen Rassismus erfolgreich werden können. Wie beim Corona-Virus ist auch hier die Eigenverantwortung von jeder und jedem von uns gefordert. Nehmen wir den Kampf gegen Rassismus in unsere Tischgespräche und Tischgebete auf und schöpfen daraus Kraft, unser tägliches Handeln danach auszurichten. In seiner Pfingstpredigt rief Paul Zulehner zu einer Pandemie der Solidarität auf. Vielleicht wurden wir durch die globale Corona-Situation hellhörig, aufmerksam und auch ein wenig bereit, Ungleichheit und Spaltung nicht mehr hinzunehmen, sondern sich aktiv dagegen einzusetzen. Dann können wir den „geistigen Virus Rassismus“, wie Papst Franziskus sagte, eindämmen, denn irgendwann reicht es! Hoffentlich ist dieses irgendwann jetzt.
„Mein Gesicht gegen Rassismus“ – eine Initiative vom Land Burgenland und der Diözese Eisenstadt: